Nam June Paik

Fotografie: Abe Frajndlich, Lothar Schnepf

Am 10. Juli 1996 wurde an der Staatlichen Akademie der bildenden Kuenste in Stuttgart eine Videoskulptur des Kuenstlers Nam June Paik eingeweiht. Aus diesem Anlass arrangierte die Redaktion ein Gespraech zwischen Dr. Wulf Herzogenrath, Paik-Experte und Direktor der Bremer Kunsthalle und Peter Hauri, Kuenstler und Lehrbeauftragter an der Kunstakademie Stuttgart. Ausserdem sprach sie mit dem Stuttgarter Professor Manfred Kroeplien, der den Anstoss zu diesem Projekt gab, und Dr. Dieter Hauffe, Finanzpraesident des Regierungsbezirks Stuttgart/Tuebingen.

Hauri
Sie weihen heute die Paik-Skulptur ein. Wie lange kennen Sie Nam June Paik schon?
Herzogenrath
Seit '73, das ist fast ein Vierteljahrhundert.
Hauri
'73 hat es die großen Monitorwände noch nicht gegeben. Damals war Nam June Paik noch Fluxus-Künstler und hat Kerzen in Monitore gestellt.
Herzogenrath
Es gab natürlich immer schon dasm was ich das "Zuviel" nenne- und das Andere. die Gegenwelt, was ich das "Zuwenig" nenne. z. B. dieses Werk mit der Kerze. Diese beiden Extreme sind seine Grundhaltung. Damals gab es auch schon eine Ausstellung im Everson Museum in Syracuse, nördlich von New York, wo es etwas ganz ungewöhnliches war, mehrere Monitore zusammenzusetzen. Dieser Ansatz ging vom musikalischen Fluxus aus. wie ein Trio Bilder zu kombinieren.
Hauri
Also eine Ansammlung von Müll, der Video als Kulturmüll. Diese Kritik ist bei Fluxus, wenn man Vostell anschaut, schon da. Bei Paik läuft das anders. Da wird mit dem Medium auf eine sehr genußvolle Art umgegangen. Es werden zum Beispiel nicht nur Kriegsbilder gezeigt, sondern auch eine Art "Freude" mittransportiert, dabei ist es schwierig, auszuloten, wie weit das ironisch ist und wann der Lärm meditativ wird ...
Herzogenrath
... und wann werden die zu den zu vielen Bilder, die ich eigentlich nicht mehr sehen kann, und die eigentlich doch nur weiße Seiten sind. Das ist sicherlich eine genau richtig beschriebene Grundhaltung. Die eigentliche Bildabfolge macht er nicht mehr selber. Das beschreibt seine große Fähigkeit, immer mit den jeweils besten jungen Leuten zusammenzuarbeiten und deren Kenntnis und Können mitzunutzen. Vielleicht ist das auch in diesem Zusammenhang ganz interessant, daß er das nicht erst macht, seit er der große Star ist. Schon bei seiner ersten Ausstellung 1963 bedankte er sich in seinem Text bei denjenigen, die kleine Anregungen gegeben hatten. Es ist sicher nicht nur asiatische Freundlichkeit, sondern seine Grundhaltung, sich wie ein Katalysator zu empfinden, der neue Dinge aufnimmt, um dann etwas Neues, Anderes daraus zu machen.
Hauri
Was ihn wieder verbindet mit der Konzept-Szene, wo die Idee, der große Wurf wichtig wird. Er ist nicht der Techniker, der alles beherrscht wie der Maler am Ölbild.
Herzogenrath
Er beherrscht sie, aber er weiß. daß er mit 64 eben nicht mehr die schnelle Hand und das Auge hat. wie der 30jährige Computerprofi, der die Dinge in dem Sinne. wie er sie möchte, noch besser realisieren kann. Von daher könnte man sagen, es ist so ein bißchen wie Filmarbeit, der große Filmregisseur braucht den hervorragenden Kameramann. Auf der anderen Seite ist Paik dann wieder jemand, der ganz alleine wie ein subversiver Baggerer herumtüftelt. Diese beiden Extreme sind immer da.
Hauri
Ich habe ihn früh verfolgt, als ich selber noch gemalt habe, nicht viel Überblick hatte, und habe da sehr unterschiedliche Momente erlebt.
Herzogenrath
Das ist sehr typisch für ihn. Ich kannte zuerst diese frühen Arbeiten - die Kerze im Monitor. Das war für mich eine klare Sache. Fluxus. Dann habe ich einmal eine Arbeit auf einem Monitor gesehen, wo die Mona Lisa verwurstet wurde, und dachte, naja gut, das ist eben so wie der Siebdruck von Mona Lisa oder der Schnurrbart von Duchamp. Es kam mir so hohl vor, mit diesem technischen Aufwand diesen Gag auf die klassische Moderne zu lancieren und die Bildende Kunst zu verwursten. Da verging mir also das Lachen. Weil ich da das Medium plötzlich in seiner Dekorativität als sehr funktional begriffen habe, also den Einsatz dieses Mediums, die Geschwindigkeit. Einen neuen Zugang habe ich dann in Wolfsburg bekommen, wo ich die großen Kitschinstallationen gesehen habe. die Gemüsewagen mit Monitoren. Da ist bei mir dann der Groschen gefallen: es handelt sich da um eine ganz neue Realität .. Video ist überall präsent, wird wie Tapete zur Selbstverständlichkeit. Früher war der Fernseher ja wie der Volksempfänger ein Kleinod in ausgewählten Haushalten. Seitdem kann ich mich wieder als Nam June Paik-Fan bezeichnen. Ich habe mich dann gefragt, hat Nam June Paik sich im Laufe dieser 30 Jahre in diese Realität immer wieder hineinarbeiten müssen, weil sich die Realität verändert hat? Der Fernseher ist nicht mehr das, was er vor 30 Jahren war. Was hat da stattgefunden, kann man sowas in seinem Werk beobachten?
Herzogenrath
Ganz sicher. Das sind Dinge, die noch mit der Fluxushaltung zu tun haben, alte Radio- oder Fernsehgeräte zu entkernen und daraus ein Aquarium zu machen. 20 Jahre später macht ein Fernsehsender das als sein Nachtfüllungspausenzeichen - ohne Herrn Paik dafür zu bezahlen, sage ich jetzt mal ironisch dazu! Dann kamen die interessanten Arbeiten Mitte der 70er Jahre, in einer Zeit, in der der Fernseher eigentlich immer noch ein in die Wohnwelt eingepaßtes, auf einem Sockel stehendes Geräte ist. Aber Paik legt es im "TV Dschungel" documenta 6 1977 unter Pflanzen auf den Rücken. Die Pflanzen werden beleuchtet von dieser künstlichen Welt, sie sind die einzige Lichtquelle in diesem Raum. Oder die Arbeit "Fish flies on sky"- verschieden große Monitore werden an die Decke gehängt. Sie sehen aus wie unterschiedlich große Sterne, absichtlich verschiedenfarbig eingestellt, obwohl sie vom gleichen Band gespeist werden, damit es wie ein Sternenhimmel aussieht. Der Fernseher wird also als Objekt anders begriffen. Das war natürlich sehr ungewöhnlich damals. Auf dem Boden lagen Matten, man konnte sich hinlegen und in den Himmel schauen. Nach ein paar Minuten hat niemand mehr das Band angesehen, sondern man fing an zu träumen. Das ist, denke ich, eine ganz wichtige Haltung, weg vom Narrativen eines Videobandes. Dann beginnt Mitte der 80er Jahre wieder etwas Neues: zuerst 1982 im Centre Pompidou, wo er die 3 Farben der französischen Fahne mit 400 TVs neu zusammensetzt. Oder seine Roboterfiguren, wo plötzlich die Monitore zu Figurationen zusammengesetzt wurden. Man könnte denken, warum ist darauf noch keiner gekommen, aber er war eben der erste bis dahin. Dieses Spiel, den Monitor nicht als die Fernsehkiste zu nehmen, sondern als skulpturales, spielerisches Element, finde ich sehr spannend. Es war auch sehr anregend für viele jüngere Künstler.
Hauri
Wenn man jetzt die Inhalte der Monitore anschaut...
Herzogenrath
Da muß zuerst einmal unterschieden werden zwischen den eigenständigen Videobändern, die er hauptsächlich in den 70er Jahren gemacht hat, und den Bändern für Skulpturen, die nur kurz betrachtet werden sollen. ln den 70er Jahren entwickelte er eine Langsam-Schnell/ Laut-Leise-Dramaturgie, die auch eine Art von Narration ist. Eines der berühmtesten Bänder ist "Global Groove" (1972). Eine Collage der Weltwahrnehmung, in der er Japanisches, Europäisches, Werbung zusammengebracht hat, immer unterbrochen von den großen Gurus, die er hoch verehrt: John Cage, der von der absoluten Stille erzählt, Allen Ginsberg, Cunningham, sozusagen das, was an Literatur, Philosophie; Musik, Tanz kulturell in seinem Umfeld wahrzunehmen ist. Das ist etwas anderes, dieses 45 minütige Band soll man sich als Einheit ansehen. Bei einer Videoskulptur möchte er, daß man sie wie einen Rodin betrachtet. Natürlich - je länger man davorsteht, umso mehr nimmt man wahr. Das Band ist aber nicht so gedacht, daß es einen Anfang und ein Ende haben muß, sondern es ist Teil der Skulptur. Bei seiner Skulptur hier an der Stuttgarter Akademie versteht man eigentlich schon nach ein oder zwei Minuten, um was es sich handelt. Es sind 3 verschiedene Bänder, eines mit Zahlen, eines mit den Robotergeschichten und das dritte mit dem Klavierthema. Meint er inhaltlich damit etwas Philosophisches? Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Die Schnelligkeit der Schnitte, das Ineinanderkopieren der Bilder, der entstehende Bildersalat ist eigentlich sein Thema. Am Ende bleibt nur noch weißes Rauschen.
Hauri
Was eigentlich von Anfang an da war, auch in seinen frühen Sequenzen, ist die Geschwindigkeit der Bilder ...
Herzogenrath
... oder eben "Zen for TV" von 1963! Alle Programme, die es gibt, und '63 waren es noch nicht so viele, auf eine einzige Linie zusammenzubringen, ist letztlich die andere Seite des Kreises der zu schnellen und zu vielen und ineinanderkopierten und gedrehten Schnitte. Hier bei dieser Stuttgarter Arbeit finde ich schön, daß er sein großes Ego als Künstler eher zurückfährt und sagt, wenn du etwas hast, was du dort einspielen möchtest - Student oder Künstler oder wer immer - dann bitte schön nutze das Angebot, hier hast du die Technik, die stelle ich dir zur Verfügung. Im Normalfall würde man für diesen Preis vielleicht einen Bronzeklops kaufen - ich will jetzt keinem Bildhauer zu nahe treten-, der Bronzeklops wäre wahrscheinlich teurer, als das Werk hier. Paik sagt, man kann meine Arbeit anschauen, klar. Aber ich möchte, daß diese Wand zu bestimmten Zeiten zur Verfügung steht. Jeder kann seine Bänder einspielen und selber programmieren. Bestimmte Strukturen gibt Paik vor, und andere verändert der neue Partner.
Hauri
Im Grunde genommen ist es eine inhaltlich aufgeladene Akademie-Werkstätte. Ich habe zum ersten mal gesehen, daß es diese Fernbedienungsknöpfchen gibt, an denen der passive Betrachter das Programm noch minimal beeinflussen kann.
Herzogenrath
Sie können damit eine andere Programmierung erstellen. indem Sie bestimmte Zusammenhänge neu schaffen. Die Art des Mixes können Sie als Benutzer in den vorgegebenen Strukturen verändern.
Hauri
Ist das neu?
Herzogenrath
Absolut neu, für eine öffentliche Nutzung, für den Bereich "Kunst am Bau" sowieso. Ich hatten eben zu Mark Patsfall gesagt, das wäre doch eine Idee gewesen für Paiks große amerikanische Wanderausstellung. Er sagte, sie hätten so etwas sogar vorgeschlagen, doch meine Kollegen im Museum wollten nicht, weil sie natürlich immer das Problem haben, daß man das eine anfassen darf, das andere aber nicht. Wie mache ich das meinen Besuchern im Museum klar? Deshalb haben wir immer eine gew1sse Scheu, "spielen" zu lassen. Kinetische Objekte gab es ja in den 60er Jahren, die Leute kamen und spielten, aber im nächsten Raum durften sie dann nichts mehr anfassen. Damals haben wir gelernt, daß es keinen Sinn hat, zu sagen, in dieser Ecke darfst du rauchen, in der nicht. Und so ist diese Skulptur wirklich die Premiere, eine mutige Tat der Jury und des Auslobers!
Hauri
Diese Manipulationsmöglichkeiten sind ja eigentlich eine zusätzliche Falle. Man glaubt, man könne etwas verändern und dabei ist es noch ermüdender, weil man direkt vor den Monitoren steht. Ich traue Nam June Paik diesen Witz zu. Die ganze Utopie von Interaktion wird für mich hier nicht so aufgeblasen fonmuliert, wie in den Kreisen "Weibel" oder ZKM Karlsruhe. Da gibt es ja Sachen, die vom Niveau nicht unbedingt über das hier hinausgehen, die aber mit viel mehr Pathos vorgetragen werden. Diese Utopie, wir machen interaktive Kunst, ist in dieser Generation sehr schick. Die Leute, die alles erreicht haben, lassen jetzt das Volk auch mal mitspielen. Darin liegt ja ein unheimlicher Zynismus. Mich würde interessieren, wie locker bleibt er da? Es gibt zwei Ebenen, es gibt die seriöse Forschungsebene und dieses fluxusartige, mit einem Augenzwinkern ...
Herzogenrath
... was eben immer schon bei ihm dabei war. Darauf gehe ich jetzt noch einmal ein, die Schritte von '63, über '65 bis '69. Damals nannte er es "Participation-TV". Das endete irgendwo in dieser großen Vision '68 -wir haben alle unsere Kabelkanäle, wir machen das Fernsehen selber. Bis dann 1973/7 4 klar wurde, selbst wenn die Künstler oder die Linken oder die Feministinnen etc. ihre Programme machten, hat es nicht richtig interessiert. Es war doch stinklangweilig, wenn irgendein Künstler fünf Stunden Programm machte, das nur für eine In-Gruppe interessant war. Diese Art von Fernsehen funktioniert eben auch nicht. Daß es dann umschlägt und wir jetzt die Soße der sogenannten Privaten auch schon im öffentlich-rechtlichen Fernsehen haben, ist der Zynismus der Utopie, die wir '68 formuliert haben. Da kann ich nur unseren Bundespräsidenten- sicher ja kein linker Utopist- zitieren, man müßte auch mal ernst nehmen, daß die Leute nicht nur das, was sie wollen, in ihrem Angebot bekommen müßten. Man kann nicht einfach sagen, das was die Privaten jetzt senden, ist, was die Leute wollen. Man muß ersteinmal ein breites Angebot anbieten, bevor die Leuten wählen können. Diese Haltung - macht euer Fernsehen selber- ist etwas, was Paik irgendwo immer aufblitzen ließ. Es ist weder reine Konzeptkunst noch reine Unterhaltung, es muß eigentlich immer die Gegenseite mit da sein. Die Qualität von Paik liegt für mich darin, daß diese Eindimensionalität einer einfachen Erklärbarkeil aufgehoben ist. Genauso wie Sie immer irritiert waren von dem, was Sie gerade sahen, weil Sie das andere auch kannten oder mitvermuteten.
Hauri
Da könnte man ja sagen, daß er im engeren Sinn eigentlich kein Videokünstler ist, daß er durch diese permanente Distanz nicht auf dieses Medium festzulegen ist, weil er es gar nicht pragmatisch benutzt, sondern immer philosophisch oder spirituell eine Kritik formuliert, die eben dort wunderbar in dieser Dualität läuft. Ich finde auch interessant, daß er zu Leuten wie Cunningham- also Leute, die tanzen, die mit ihrem ·Körper arbeiten - oder Schriftstellern usw. eine Beziehung hat und sich nicht über ein Medium definiert, auch sie haben kein Problem mit seiner Arbeit. Es ist der gleiche Gedanke, der wahlweise in diesem Medium eine andere Brisanz bekommt, das Medium ist an sich aber nicht die Heimat, sondern das Instrument.
Herzogenrath
Es ist nicht Selbstzweck, so könnte man sogar noch schärfer sagen, wie bei manchen, die glauben, das Internet sei das Heilmittel für die Gesellschaft. Er wird dann immer sagen, klar wichtig: er sagt ja auch, Clinton habe ihm seinen Begriff, den "Electronic-Highway" gestohlen. Er hat diesen Begriff schon '76 in einem Papier publiziert. Auch "Global Groove" ist eine Variation des "Global Village", dieser Vision Anfang der 70er Jahre; wir sind alle vernetzt und alle ein Dorf, wir wissen, was jetzt gerade in Venezuela ist. Das ist zwar wunderschön, aber letztlich "so what"? Wenn wir nicht mitbekommen, daß nebenan gerade jemand stirbt, nützt uns diese Verkabelung auch nichts. Die Post und die Eisenbahn und das Internet sind Mittel für etwas anderes, sie können nicht die Sache selber sein. Es muß etwas damit transportiert werden, geistig und inhaltlich. Er hat gesehen, wie die Dinge ablaufen - er kommt aus Korea, war lange in Japan, Deutschland und Europa, und lebt jetzt in Amerika. Mit diesen drei Weiten geht er fast schizophren um, weil er immer die anderen mitsieht. Das sind Dinge, die ihn auszeichnen, die ihn wacher gemacht haben als manche, die da sitzen und die Fahne hochhielten und nicht merkten, das woanders der Wind ganz anders bläst. Zum Schluß möchte ich sagen, daß Stuttgart wirklich stolz sein kann. Paik war das ArchivSohm- das Fluxus-Archiv in der Staatsgalerie Stuttgart - ein ganz wichtiger Verbindungspunkt, er hat einen Text für Sohm gemacht. Sohm wollte nie Kunst sammeln, sondern nur "Information". Das interpretiert die Paik-Wand eigentlich fast genausogut er sagt, ich will euch kein Videoband geben, sondern eine Struktur, die über etwas informiert, mit dem ihr selber umgehen müßt. Wie natürlich im ArchivSohm wunderbare Kunstwerke sind, selbst ein Brief oder ein Künstlerbuch sind schönste Werke, eine künstlerischere Sammlung gibt es nicht. Diese Infragestellung - was heißt eigentlich Information, was heißt eigentlich Kunst, warum wird das als Gegensatz gesehen - ist ein Teil dieser Sache, die eben doch mit Stuttgart zu tun hat, mit der Staatsgalerie, mit dem Archiv Sohm. Er hat das gerne als eine Art Referenz gesehen und sich besonders gefreut, daß es hier geklappt hat.
Und es ist, das kann man wirklich sagen, eine Weltpremiere. Wie kam die Kunstakademie Stuttgart zu einer Videoskulptur von Nam June Paik?
Die Idee kam vor ungefähr drei Jahren bei einer Autofahrt in Frankreich zustande. Es war meine Begleiterin, die meinte, in den Neubau der Akademie würde als ·Kunst am Bau eine Videoskulptur hineinpassen. Ich dachte, es wäre sinnvoll, das mit einem Künstler zu machen, der von der Fachwelt anerkannt und vom Markt bestätigt ist, um von vornherein Diskussionen, warum der und nicht ich, zu unterbinden. Da kam eigentlich nur Nam June Paik in Frage. Er ist akzeptiert und hat auch seinen Platz in der Kunstgeschichte. Darüber kann man nicht mehr streiten. Als diese Idee geboren war, kam der nächste Schritt.
Haben Sie dann Nam June Paik vorgeschlagen?
Zuerst ergab sich folgende Schwierigkeit: Bei der Kunstkommission des Landes werden bei Kunstwerken dieser Größenordnung mehrere Künstler aufgefordert, ihre Entwürfe einzureichen. Ich habe damals darum gekämpft, diese Regelung für diesen Fall außer Kraft zu setzen. Ich hatte dann das Glück, die Kunstkommission, deren Mitglied ich bin, zu überzeugen. Die Mitglieder der Kommission wollten aber dazu die Meinung der Akademie hören. Ich sprach also mit dem damaligen Rektor und anschließend im Senat darüber. Der Senat hatte nichts dagegen, infolgedessen konnte ich das Projekt weiter verfolgen. Es gab natürlich politische Ängste; nicht nur wegen eines Direktauftrags an Paik, sondern wegen der Höhe des Honorars, das man vielleicht ganz gerne im Land, bei einheimischen Künstlern gesehen hätte. Um das aus dem Weg zu räumen sprach ich beim Finanzminister vor. Ich bat ihn, den Paik-Vorschlag politisch zu tragen und stellte ihm die Bedeutung Paiks in einer kleinen Präsentation vor; und die Bedeutung, die er für unser Haus und die Region haben könnte. Mayer-Vorfelder hat dann das Projekt freigegeben, freilich dauerte es dann immer noch ein halbes Jahr, bis man Paik mit der Realisierung beauftragen konnte. Ich weiß, daß es in unserem Haus Leute gibt, die Paik nicht wollen. Das aber ist unerheblich. Das Projekt wurde in allen Gremien diskutiert, und wir haben doch alle gelernt, die Entscheidungen der Gremien zu akzeptieren, selbst wenn wir anderer Meinung sind.
Welches Konzept Liegt der Videoinstallation zugrunde?
Ich hatte mich, weil ich mich ziemlich oft mit John Gage beschäftigt hatte, darauf besonnen, daß Gage des öfteren mit Paik zusammengearbeitet hatte. Ich wußte, daß die beiden schon einmal ein „Projekt des Dialogs“ miteinander gemacht hatten. Dieses Projekt hat andere beeindruckt und beeinflußt. Ich fragte Nam June Paik, ob er interessiert sei, für die Stuttgarter Akademie eine Video-Skulptur zu machen, mit folgender Prämisse: Mach eine Video-Skulptur, auf die unsere Studenten reagieren können. Sie sollen an und mit der Skulptur arbeiten können und das, was am Anfang visuell sichtbar Paik ist, soll mit der Zeit von den jungen Künstlerarbeiten verwischt werden, bis Paik nur noch als intelligible Struktur übrig bleibt. Das war die Idee. Paik war einverstanden, aber das Finanzministerium argumentierte, daß die Mittel für Kunst am Bau keine Mittel für pädagogische Investitionen seien. Also machte Paik seine Skulptur derart, daß Studenten in die Monitore ihre Arbeiten einspielen können, ohne daß sie die Bilder Paiks zerstören oder verändern können: Paik blendet sich quasi zugunsten der Studentenarbeiten aus. Und das Eingriff-nehmen der Studenten gehört zum Wesen der Skulptur. Anfangs können die Studenten sich 20 Minuten lang in die Paik-Skulptur einblenden, danach laufen die Bilder Paiks weiter. Es könnte ein Dialog werden, wenn Studenten auf Paik reagieren, und unter Umständen werden wir in ein paar Jahren soweit sein, daß Paik auf die Arbeit der Studenten reagiert. Bei Paiks Videoskulptur laufen pro Sekunde 20 Bilder über den Bildschirm und man sieht mehr oder weniger nur die Struktur des Programms. Tag für Tag. Trotzdem, oder gerade deshalb, wird auch sie schnell an Information abnehmen; man muß mit ihr arbeiten. Aber auch stehende, auch gemalte Bilder verlieren an Information, wenn man sie Tag für Tag sieht. Zuerst betrachtet man sie freudig erregt, man schaut sie gerne an, aber bald schon schaut man am Bild vorbei. Deshalb ist der Gedanke, Kunst ausschließlich in Ausstellungen oder in Museen zu zeigen nicht uninteressant. Sie wirken sozusagen als lnteresse- und Genußbewahrer. Natürlich hören Künstler das nicht gerne. Auch der Paik Skulptur wird es nicht an ders ergehen. Paik weiß das, und wird deshalb seine Skulptur immer wieder mit neuen Bildfolgen und neuen Einfällen versehen. Und ebenso die Studenten. Das ist der eigentliche Grundgedanke dieses Kunstwerks, etwas zu machen, das junge Künstler mit Paik zusammenführt, um gemeinsam immer wieder etwas Neues zu schaffen, um dem Zerfall entgegenzuarbeiten.
Es ist al so geplant, daß Paik daran weiterarbeitet?
Ja. Im Moment geht es ihm zwar nicht besonders gut, deshalb war er zur Eröffnung auch nicht an der Akademie. Aber ich gehe davon aus, daß es klappt. Ihm gefällt das Konzept und die Tatsache, daß er für die Stuttgarter Akademie eine Video-Skulptur machen kann. Er verzichtet auf sein Honorar und steckt das ganze Geld in die Hardware. So ist es auch ein Geschenk an unsere Studenten und das finde ich großartig. Man darf da nicht übersehen, daß Paik sehr wohl weiß, was es heißt, an einer Kunstakademie zeichengebend ein Kunstwerk, eine Videoskulptur aufzustellen. Ich denke, die Zeit ist günstig dafür, weil auch die Studierenden des freien Fachbereichs immer entschiedener fordern, sich mit Video und anderen elektronischen Medien auseinander setzen zu können. Dieser Wunsch der Studentenschaft wurde lange, lange Zeit nicht erhört. Aber jetzt wird im Senat eine Videokunst-Professur diskutiert. Was aber daraus wird, -wer weiß das schon.
Kamen von den Studenten schon Reaktionen auf die Skulptur?
Ich habe sehr positive Reaktionen von Studierenden und Lehrenden bekommen. Ich weiß aber auch, daß viele Professoren der Sache skeptisch gegenüber stehen. Nun - die Sache ist diskutiert, aber wahrscheinlich nicht ganz aus der Welt. Wissen Sie, daß bei 92 Monitoren Elektrosmog entsteht?, Wer kommt denn für die laufenden Kosten auf?, Im Haus wird es ja viel zu laut werden! Ich weiß nicht wo die Motive für diese Fragen liegen. Auf der sachlichen Seite sicher nicht. Aber seien Sie beruhigt; es entsteht kein signifikanter Elektrosmog, die laufenden Kosten werden von der Liegenschaft bezahlt und die Paik-Skulptur kommt ohne Ton aus. Kann das Geld, das für Kunst am Bau vorgesehen ist, nicht für etwas anderes verwendet werden? Nein. Entweder das Geld wird für Kunst am Bau verwendet, oder es gibt kein Geld. Es kommt aus dem Bauetat des Landes und ich will nicht einsehen, daß man rund 400 000 DM verschenkt, nur weil man sich hier nicht einigen könnte. Es war auch früher einmal im Gespräch, eine Skulptur von Maillol oder einem anderen Klassiker zu kaufen, aber mir wäre das ein zu großer Griff in die Vergangenheit gewesen. Und für 400 000 DM wäre ein wirklicher Klassiker auch nicht zu bekommen. Man kann auch keinen Griff in die Zukunft machen, die kennen wir nicht. Uns muß das Heute interessieren, das, was jetzt passiert. Ich stehe dazu.
Wie Lange hat das Ganze gedauert, von der Entscheidung bis zum Aufbau der Skulptur?
Ich denke es waren schon zwei Jahre, die es dauerte. Die Idee ist, wie gesagt, schon viel früher dagewesen. Bei staatlichen Verwaltungen geht nichts schnell. Daran hab ich mich in 20jähriger Landesbeamtenschaft gewöhnt und lebe recht und schlecht damit.
An wen müssen si ch di e Student en wenden, wenn sie mit der Videoskulptur arbeiten wollen?
Das muß noch besprochen werden. Im Moment habe ich die Sache federführend übernommen, aber ich glaube nicht, daß das auf Dauer vernünftig wäre. Für Vertreter der Studentenschaft, oder denjenigen, die sich dafür interessieren, stehen nach vorheriger Absprache zwei Fachleute des Video und der Elektronik bereit, sie einzuweisen.
Welches Amt bekleiden Sie innerhalb der Staatlichen Hochbauverwaltung?
Ich bin Architekt und Leiter der Bau- und Liegenschaftsabteilung für die Regierungsbezirke Stuttgart und Tübingen innerhalb der Oberfinanzdirektion. Die Hochbauverwaltung ist in 3 Stufen aufgebaut. Da ist das Ministerium, das die politischen Leitlinien vorgibt. Dann gibt es auf der unteren Ebene das Bauamt, also z.B. das Staatliche Hochbauamt 1, das die Staatliche Akademie betreut, und die mittlere Steuerungsebene, die Oberfinanzdirektion. Und da gibt es diese Kunstkommission.
Welche Rolle hatten Sie in diesem Kunstausschuß?
1955 ist durch einen Regierungsbeschluß festgelegt worden, daß 1-2% der Bauaufwendung, also der Baukosten eines Gebäudes, für Kunst am Bau ausgewiesen werden. Um diese Gelder umzusetzen und das nicht der Willkür eines Architekten oder eines Amtsvorstandes zu überlassen, sind bei diesen 3 Oberfinanzdirektionen in Baden-Württemberg -also Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg - Kunstkommissionen eingerichtet worden. Die Kunstkommission ist im Grunde eine Jury, die feststeht, also nicht jedesmal neu berufen wird. Diese Jury ist in immer gleicher Besetzung 2-3 Jahre zusammen. Dazu gehören freie Künstler, ein Lehrer der Akademie - im Moment Herr Kröplien - es ist ein Kunstwissenschaft- ler dabei, Frau Dr. Gauß, die Leiterin der grafischen Sammlung der Staatsgalerie, und es sind Architekten dabei. Diese Kom- mission gibt Empfehlungen wie eine Jury über Vorschläge zur Kunst am Bau ab. Ich bin der Sprecher dieser Jury, als Chef der Abteilung. Es gibt 3 Vorgehensweisen: 1.: Der Empfehlung des Bauamtes oder des Architekten wird zugestimmt. Dann ist das so eine Art Direktauftrag an den Künstler. 2.: Das Bauamt oder der Architekt hat zwar eine klare Vorstellung, aber noch keinen konkreten Umsetzungsvorschlag. Dann gibt es vielleicht ein kleines Gutachten von 5-6 Künstlern, die aufgefordert werden, eine Skizze oder eine Konzeption zu entwickeln, die sie dann persönlich präsentieren. Für den Aufwand steht Ihnen ein Honorar zu. In diesem stufenweisen Vorgehen ist die Jury der Motor und Entscheidungsträger. 3. Es wird ein öffentlicher Wettbewerb ausgeschrieben. Das machen wir relativ selten, obwohl es immer wieder von den Verbänden gefordert wird. Solche offenen Kunstwettbewerbe, egal ob sie im malerischen Bereich liegen oder im bildhauerischen, sind sehr schwer zu jurieren, da im Prinzip jeder, der sich Künstler nennen will, mitmachen kann. Viele Künstler, die man gerne hätte, machen aus diesem Grund gar nicht erst mit. Wenn wir so einen Wettbewerb veranstalten, dann als Stufenwettbewerb. Für die 1. Stufe, die anonym juriert wird, werden sehr geringe Anforderungen gestellt. Aus dem Riesenangebot werden einige herausgefiltert, die dann in einem honorierten beschränkten Wettbewerb kommen. Dort geht's schließlich um die Entscheidung.
Wie hat Herr Paik präsentiert?
Das war gar nicht einfach. Im Grunde wußten wir ja, was Herr Paik macht: aber da das Ganze ja nicht nur eine Videowand ist, sondern auch eine Skulptur, die einen Raum bestimmt, haben wir nach der ersten Skizze noch nach einem Modell verlangt. Der Vorschlag wurde nicht sofort vorbehaltlos angenommen, aber schließlich nach intensiver Diskussion einstimmig befürwortet. Die entgültige Entscheidung zur Ausführung hat der zuständige Finanzminister getroffen.
Wie errechnet sich die Summe für Kunst am Bau?
Bei allen Neubauten und größeren Sanierungs- oder Umbau maßnahmen sind es 1-2% der reinen Baukosten. Bei geringen Baukosten werden 2% und bei hohen Kosten 1 % veranschlagt. Und die sind unabhängig von allen Preisschwankungen oder Einsparungen beim Bau. Nach der Veranschlagung steht die Summe fest.
Wieviel Geld war das im Falle dieses Baus?
Das waren 385 000 DM. Das Haus hat etwa 44 Mio. DM gekostet. Das waren dann also 1,2 oder 1,3% für die Kunst am Bau.
Kann dieses Geld auch für andere Zwecke verwendet werden?
Nein. Das Geld kann ausschließlich für Kunst am Bau ausgegeben werden.
Gibt es ein Verfallsdatum?
Es gibt eigentlich kein Verfallsdatum. Theoretisch verfällt das Geld mit der Abrechnung des Baus. Nachdem das bei diesem Projekt ein so langer Prozeß war, haben wir dieses Geld auf ein "Sonderkonto" genommen, damit es nicht verfällt. Es gibt natürlich auch Fälle, wo die Gefahr besteht, daß das Geld aus vielerlei Gründen bei dem Projekt nicht für "Kunst am Bau" verwendet wird. In diesen - allerdings sehr seltenen - Fällen versuchen wir andere Wege zu gehen, damit die Mittel für die Kunst erhalten bleiben.

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