Christoph Schlingensief

Autor: Björn Peters, Florin Preu!sler, Ingo Ditges

Der Film- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief ("Das deutsche Kettensägenmassaker, United Trash") moderiert die Talk Talk 2000 im Kanal4-Kulturfenster von RTL und Sat.l. Die Sendungen wurden im Juni und Juli 1997 in der Kantine der Berliner Volksbühne aufgezeichnet.

Herr Schlingensief, es verwundert ja, daß Sie zum Fernsehen zurückgegangen sind. Als Aufnahmeleiter bei der "Lindenstraße" haben Sie 1986/87 doch angeblich "grauenhafte Erfahrungen" gemacht.

Das Verhältnis zwischen Anspruch und Realisierung war damals bei der "Lindenstraße" so riesig und das sozialdemokratische Empfinden von Herrn Geissendörfer war so penetrant gestört, daß ich damals wirklich gedacht habe, das kann nicht wahr sein, daß der das ernst meint. Der war von so 'nem missionarischen Übereifer geprägt, daß er dann auch wirklich in der Kantine mal, bloß weil man nicht seiner sozialdemokratischen Meinung war, einem irgendwie Schläge androhte oder sonst so was. Fand ich also nicht so passend, und die Sendung war auch einfach damals bodenlos schlecht. Ich hatte nur mal so die Überlegung geäußert, die Geräusche der Nachbarn lauter zu machen. Das fand er dann schon anmaßend, bloß mal so 'n Vorschlag zu machen, das ginge nicht, das müsse sich konzentrieren. Also, was einfach sehr unangenehm war, war diese Verlogenheit innerhalb eines von einem hochgradig neurotisch veranlagten Sozialdemokraten veranstalteten Aufklärungsprogramms. Das war wirklich unerträglich. Das ist so, wie der WDR halt ist.

Kommen wir mal zur Talkshow. Heute talkt ja jeder: Verona Feldbusch, Hera Lind, Michel Friedmann. Nun kriegt auch Christoph Schlingensief eine Sendung. Manche Schlingensief-Fans befürchten schon daß Sie sich verheizen, daß Sie in diese Talkshow- Ecke, diese Massengeschmacks-Geschichten hineinkommen. Ist das vielleicht gerade Ihre Absicht?

Ich glaube, daß das keine normale Talkshow ist. Das hätte ich auch niemals gemacht. Mit Kärtchen und vorbereitet in 'ne Sendung reinstolpern, also reinlaufen, das kann ich sowieso nicht. Ich hab mich nicht vorbereitet, ich hab sogar teilweise am Mittag (vor der Show] noch nicht mal gewußt, wer die Gäste sind. Ich mußte auch in der Sendung manchmal die Namen ablesen, zum Beispiel beim Prinzen von Hohenzollern, den Namen konnte ich nicht behalten. Jedenfalls ist das für mich keine normale Talkshow. Das ganze Konzept dieser Talkshow ist ja eigentlich, zu beweisen, daß jeder Talkshowmaster werden kann, daß jeder das auch probieren kann warum nicht auch ich. Und zum zweiten ist das eigentlich auch nicht solo zu sehen, man kann nicht eine Talkshow von dieser achtteiligen Serie gucken und alles verstanden haben. Da ist ja auch nicht viel zu verstehen, aber es sind eben einzelne Geschichten. So wie Mutter Knef auftaucht und erst mal dem Söhnchen so zulacht und sagt: "Das ist ja ganz witzig". Und dann wird die Verzweiflung langsam eingeschaltet, das wird dann etwas politisch verunglückt, auch die Sprachlosigkeit spielt 'ne Rolle. Eigentlich ist das der Zerfall eines Menschen, den ich da zeige. Und da, glaub ich können die Fans ganz beruhigt sein, daß ich mich' nicht zum Talkmaster aufspiele, in der Hoffnung, ich krieg' jetzt wirklieh mal 'ne Talkshow. Das ist auch begrenzt auf acht mal.

Kann man die Show als "überwindung der Talkshow mit den Mitteln der Talkshow'' bezeichnen?

Genau, "Überwindung der Talkshow mit den Mitteln der Talkshow". Oder: "die Talkshow als Wille und Vorstellung".

Sind Sie Schopenhauer-Fan?

Ach ja, schon, also, ich bin Adorno-Fan, hab' eben Alfred Edel oft zuhören dürfen, der verstorben ist, der war einer meiner besten Freunde, und der hat mir Adorno oder auch so die Frankfurter Schule bzw. das akausale Denken, was man bei Kluge manchmal findet, nahegebracht. Das durfte ich bei dem immer so mitanhören und ein bißchen inhalieren. Deshalb sind auch die ganzen Sendungen oder was sonst im Fernsehen abläuft, was diesen humanitären Anspruch hat, nicht mein Ding. Trotzdem bin ich nicht aus der Kettensägerfraktion, die sagt, wir müssen nur noch alles kaputthauen, das will ich auch nicht aber wenn man, sagen wir mal, 'nen Blumenstrauß mit 'ner Bleikaffekanne irgendwie assoziativ zusammen- bringen kann, dann ist das ein großzügiges Verhalten in dieser Welt, und dieses großzügige Verhalten versuche ich mir anzuerziehen.

Die Idee zur Talkshow soll Ihnen in Afrika bei den Dreharbeiten zu Ihrem letzten Film, "United Trash", gekommen sein. über den hört man manchmal lustige Geschichten.

Der Film ist nicht so gut, wie die Geschichten, die sich um den Film ranken. Man hat uns nach drei Wochen geheimdienstmäßig betreut, und ich hatte dann den Vorwurf der Pornographie und des Rassismus am Hals. Und wir waren dann immer mal wieder 'n Tag Im Gefängnis, und dann haben wir wieder am nächsten Tag weitergedreht, oder ich war wieder im Gitterauto und fuhr dann zur Polizeistation und der Udo Kier hat dann Regie geführt. Also, der Film ist auch 'n bißchen holprig, aber ich glaube, man sieht, daß ich einmal auf den Spuren von Steven Spielberg sein wollte. Das hat dann nicht geklappt, so wie alles in meinem Leben eigentlich nicht so richtig klappt. Aber das ist dann nicht so schlimm, wenn man's zugibt.

Und wie kamen Sie auf die Idee zur Talkshow?

Ach, als wir noch den Nachdreh in Deutschland hatten, gab's noch 'ne Szene auf der Zeche Haniel in Bottrop, wo der Papst mal 'ne Messe gehalten hat und da oben ist das Schlußbild im Film. Da steht so'n riesiges Kreuz, und [Russ-Meyer-Busenwunder] Kitten [Natividad] rennt dann da mit den Brüsten schwabbelnd an dem Kreuz rum und trifft ihren kleinen schwarzen Jesus Panne, der die Fotze auf dem Kopf hat [gemeint ist eine Art Vagina-Hut, der laut Kanal 4 jetzt auf Schlingensiefs Schrank steht] und das ist so das Schlußbild da. Da haben wir am Abend 'nen Anrufbekommen, ob wir nicht Lust hätten, beim offenen Kanal in Essen 'ne Talkshow zu machen. Und dann sind wir einfach mit den Afrikanern und mit Kitten da hingefahren. Ich hab dann noch zwei Freunde aus der Landesklinik Teupitz mitgenommen, emer war Frank Koch, der mit mir auch schon viel Theater gemacht hat, und die hab ich da rein gesetzt. Dazu kam dann noch der kleingewachsene Heimo Bachstein, ein Filmkritiker und Filmwissenschaftler und die saßen alle am Tisch und es konnte praktisch keiner die Sprache des anderen verstehen, und dann haben wir das dreißig Minuten aufgenommen. Ich hab dem Koch immer nur über so 'n kleinen Clip im Ohr 'n paar Fragen reingesprochen, und dadurch ist da 'ne Sendung entstanden, die noch nie ausgestrahlt wurde, außer im Offenen Kanal, und sehr komisch ist, weil das wirklich die multikulturelle Gesellschaft ist, die man sich vorstellt: Alle Leute sitzen reden aber keiner versteht den anderen. Der Koch erzählt nur Von seiner Tankstelle im Ort, daß man da jetzt auch Super plus tanken kann, die Kitten sagte: "Oh what the fuck are you doing" oder "What do you mean with 'benzin'?" oder sowas sagte sie immer, und der Heimo Bachstein versuchte dann immer mit so 'nem Halbenglisch das zu vermitteln: "Frank said that there is a gasoline station in his little Ortschaft." Ja, und da kam mal die Idee, warum soll man nicht so was in der Richtung machen. Das wär natürlich jetzt anders geworden, aber Talkshow machen ist nun natürlich immer mal'n Wunsch. Ich war ja auch in ein paar Talkshows. Wie man da hinreist, auch vor lauter Eitelkeit bzw. weil man was zu verkaufen hat 'n Film der ansteht, oder irgendwas anderes, wo aber doch größtenteils Eitelkeit dabei ist und ein bißchen Geld auch lacht, da weiß ich noch, daß ich bei manchen Talkshows nachher rausgegangen bin, nur gedacht hab': "Wie unangenehm" und mich dann eigentlich um so mehr gehaßt hab'. Also, es ist ja einerseits toll, wenn man sagt: "Jetzt komm' ich da hin" aber die Zeit in der die Talkshow noch was wert war, die ist vorbei, weil 's da auch nur drei Sender gab, oder fünf, und heute kann man ja, wenn man das geschickt einfedelt wie Moshammer, jeden Abend in 'ner anderen Stadt sein, in 'ner anderen Talkshow, wie auch bei mir, und dann sagen: "Ich bin so froh in Berlin zu sein. Ich liebe Berlin. Die Berliner sind die freundlichsten Menschen, die ich kenne." Und das Tolle: Als er das bei mir sagte, ging das Licht aus, da hatten wir 'ne Panne, und da mußte ich den Anfang noch mal mit ihm machen. Das ist jetzt leider rausgeflogen.

Und das Projekt hat Ihre Meinung über Talkmaster voll bestätigt? Jeder "Depp" kann talken, wie Sie im "Spiegel" gesagt haben?

Ich glaube schon. Ich denke, es wird sicher zwei Seiten geben, die eine wird sagen: "Ja, was soll denn der Schwachsinn, da hat er ja weder provoziert, noch hat er das und das gemacht." Und die andere Seite wird sagen: "Da ist irgendwie wirklich 'ne Aufrichtigkeit, das ist ein bißchen wärmer als sonst." Das kommt mehr so 'ner Talkshow in so 'nem kleinen Dorf in Texas nahe: So 'n paar Durchgeknallte, Sophie Rois singt irgendwas Texanisches, und die Frau Knef kommt, und die Kamera hantiert auch so 'n bißchen wie beim Offenen Kanal in Texas, und der Sohn vom Bürgermeister, das wäre dann ich in dem Falle, darf eben jetzt so in dem Dorf'n paar Leute einladen. Also es hat irgendwas Texanisches, finde ich, das ist irgendwie 'n bißchen "2000 Maniacs" von [Splatterfilm- Pionier] Herschell Gordon Lewis, ohne Blut allerdings. Obwohl's ja noch wilder wird in den anderen Sendungen.

Sie legen Wert darauf, daß TV-Zeitschriften darauf hinweisen, daß Ihre Sendung für die Arbeitslosen bestimmt ist?

Ja. Für sechs Millionen. Und wichtig finde ich, wenn man's erwähnt, daß das Ding sich entwickelt. Daß man nicht anschaltet und dann wird da jetzt mit Schleim und Kettensäge rum hantiert. Das find ich total falsch, da hat mir die "B.Z." auch damals einen falschen Dienst erwiesen, das war einfach 'n Lügentheater von vorn bis hinten, was auch sehr ärgerlich war [Die "B.Z." hatte nach der Aufzeichnung sogar behauptet, Schlingensief habe in seiner ersten Show Hildegard Knef beleidigt]. Und auf der anderen Seite, daß man eben auch klarstellt, daß es sich um ein Konzept von acht Folgen handelt , wobei man im Schnellgang, oder nachher bei "The Best of" auch sieht, wie das immer panischer wird. Das ist ganz wichtig, glaube ich.

Sie sind jetzt auch nicht enttäuscht vom Ablauf dieses Experiments?

Enttäuscht kann ich überhaupt nicht sein. Ich hab' also für mich so mit den acht Shows auch so'n Punkt erreicht, wo ich sage, das hab ich abgehakt. Das ist ja der Alptraum, das ist auch beim Publikum oder bei Kritikern natürlich sehr stark verbreitet, da kommt jetzt einer mit 'ner Komödie raus, die ein Hit ist, wie die von Garnier, da muß der nächste Film auch so funktionieren. Einer macht 'ne Talkshow, Frau Makatsch fängt an und kriegt die Kurve in dem Umfeld nicht und sagt das dann aber auch nicht und versucht zu kämpfen und zu strampeln und wird nach acht Sendungen abgesetzt. Ich glaube einfach, daß das fast schon für sie spricht. Aber ich kann nur sagen, daß das viel Spaß gemacht hat, plötzlich Gäste zu haben, mit denen man normalerweise nicht zusammentrifft. Obwohl das eine fürchterliche Situation ist, sich da hinzusetzen und sich nachher zu hassen, weil man eben sehr privat geworden ist, weil man eigentIich wirklich Leute in sein Wohnzimmer gucken läßt. Das ist so, daß man sich nachher dann nicht sonderlich mag, und das ist natürlich auch der Grund, warum alle anderen versuchen, möglichst elegant aus der Situation rauszukommen, indem man das möglichst glimpflich ausgehen läßt. Und das ist nicht mein Bestreben, das mach ich auch in den Theaterstücken nicht.

Sie haben diese Talkshow mal - wie Ihre Filme und Stücke - als "Konzeptkunst" bezeichnet.

Was Konzeptkunst angeht: Meine ganzen Filme haben nie solo funktioniert. "Kettensägen" ["Das deutsche Kettensägenmassaker"] hat sich zwar als Name etabliert, ist aber immer im Kontext sehen. Es gibt auch viele Leute, die sich dann als "Jünger" bezeichnen, auf die ich einen Haufen lasse, es gibt aber auch viele, die mich kritisieren und die ich sehr verehre. Was ich ganz wichtig finde, und gibt's wahrscheinlich auch permanent Mißverständnisse, ist, daß man niemals denkt, daß etwas fertig ist. Meine Sachen sind nie fertig. Meine stücke verändern sich eben in jeder Vorstellung. Jetzt bei [dem Volksbühnen-Stück] "Schlacht um Europa", da haben wir 30 oder 25 Vorstellungen macht, und da war jeder Abend anders. Mal haben wir nach vorne gespielt, mal nach hinten, mal sind Leute nicht gekommen, mal sind neue eingestiegen, trotzdem ist das ein Gefüge, in dem das stattfindet. Das ist auch etwas, was mir wichtig erscheint. Es ist ja klar, wenn ich ein Waschmittel kaufe, dann will ich nicht, daß das morgen anders funktioniert als heute: bei 40 Grad ist alles verfarbt, und übermorgen ist es irgendwie schwarz. Aber im kulkturellen oder künstlerischen Bereich finde ich es einen Alptraum, wenn man diese Packungen aufreißt, und es ist auch immer genau drin, was man erwartet. Das kann manchmal schön sein. Das will ich nicht abstreiten, daß das manchmal tolle Momente sind, wenn man sich wirklich drauf verlassen kann, daß bei Spielberg getrampelt und geschrien wird. Aber bei so Sachen wie Talkshow, wenn Menschen anwesend sind in einem Zeitgefüge, was sich noch entwickeln kann, sollte man das nutzen, und das haben wir dann auch gemacht.

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie zum Star-Talker werden?

Ich glaub, daß werd' ich sowieso nicht und wenn ich es werden sollte, dann würde ich eine Bedingung stellen: Und zwar würde ich nur mit dem Babelsberger Filmorchester auftreten - was gestern mit Lindenberg spielte bei der Vorstellung seiner CD- dann mit einer riesigen Showtreppe in Babelsberg, im Studio, da würde ich einen Abend machen wo sehr brutale Quizspiele sind, wo wie bei Schönherr [in einer "Wünsch Dir was"-Folge] Familienmitglieder in 'nem Schwimmbad versenkt werden oder in Salzsäure oder wo Stuntleute mit nem Flugzeug abstürzen, solche Sachen beziehungsweise die große Showtreppe. Das wären dann Bedingungen, die kann kein Sender erfüllen, und deshalb wird's da auch nicht zu kommen.

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