Autor: Petra Mostbacher-Dix
Fotografie: Matthias Ernstberger und Svenja Kruse
„Haben Sie schon einmal glühende Augen gesehen?“ fragt Jörg Müller-Welt und lässt den fertigen Augenrohling ein
letztes Mal aufglimmen. Der Stuttgarter Okularist demonstriert am praktischen Beispiel, wie aus Glas Augenprothesen
entstehen. Doch zur¸ck zum Anfang. Aus einer weiflgetˆnten Glasrˆhre bl‰st M¸ller-Welt zun‰chst am 1200 Grad heiflen
Bunsenbrenner den Augapfel (01), auf den danach die passende lrisgrundfarbe aufgeschmolzen wird. Dann nimmt er seine
gl‰sernen ªZeichenstengel´ zur Hand, um die ‰uflere Regenbogenhaut sternchenfˆrmig von auflen nach innen auf die
Grundfarbe aufzuschmelzen (02). Augenfarbe ist nicht gleich Augenfarbe - und die Zeichenst‰be enthalten oft nicht
alle Farbf‰den der Iris. Daher variiert der Okularist dabei mit mehreren St‰ben. W‰hrenddessen wird das Kunstauge
immer wieder in Form geblasen . Wenn schliefllich die Pupille in der Mitte der Iris aufgeschmolzen ist, fehlt nur
noch die vordere Augenkammer. Sie wird mit durchsichtigem Kristall nachgeahmt (03). Eine Stunde ist vergangen und
ein weiterer Augenrohling (04) wandert in die Mustersammlung des Okularisten. Dort lagern je nach Institutsgrˆfle
4000 bis 8000 halbfertige Augen auf Vorrat.
K¸nstliche Augen haben eine lange Tradition. Schon die antiken Kulturvˆlker schm¸ckten ihre Skulpturen und Mumien
immer wieder mit Bildern des menschlichen Auges. Shakespeare l‰flt King Lear gar folgenden s¸ffisanten Seitenhieb
verteilen: ªGet thee glasseyes, and /ike a scurvy politician seem to see the things, you dost not.´ Ob der Autor
damit wirklich gl‰serne Augen meinte, ist nicht bekannt.
Fabricius abAquapendente, ein italienischer Chirurgieprofessor, behauptet jedenfalls, dafl k¸nstliche Augen aus Glas
zum ersten Mal im 16. Jahrhundert im Glasbl‰sermekka Venedig gefertigt wurden. Auch der franzˆsische Chirurg Ambrois
Pare berichtet 1561 ¸ber Kunstaugen. Aber ¸ber welche anderer Art. Er beschreibt das Vorlegeauge (Ecblepharon) und
das Einlegeauge (Hypoblepharon) als die gebr‰uchlichen Augenprothesen. Letzteres ‰hnelte einer halben Nuflschale
aus Gold oder Silber und wurde zwischen die Lider in die Augenhˆhle geschoben. Seine Vorderseite schm¸ckte ein
Emailauge. Das Vorlegeauge hingegen - Nomen est Omen -, war ein gemaltes Auge, das vor die Lider gelegt wurde. Der
Tr‰ger spannte es mittels einer lederbezogenen Stahlfeder um seinen Kopf.
Leider nennt keiner der oben aufgef¸hrten Autoren die Augenerfinder beim Namen. Auch vom Hersteller eines 1655 im
Lyoner Museum von Monsieur Worm ausgestellten gl‰sernen Auges gibt es keine Spur. Wie auch immer. Besonders
kleidsam und bequem kˆnnen all diese Hilfsmittel nicht gewesen sein. Sonst h‰tte Prinzessin Eboli, die Geliebte
Phillips II von Spanien, sicher freudig auf ihre Augenklappe verzichtet. Ein Gem‰lde zeigt sie mit einer schwarzen
Klappe vor dem rechten Auge.
W‰hrend in anderen europ‰ischen L‰ndern Augenk¸nstler wie Mirault Hazard, Boisseneau oder Cedergren bereits im
18. Jahrhundert t‰tig waren, wurde in Deutschland mit der Herstellung von Augenprothesen erst Anfang des
19. Jahrhunderts begonnen. Auf Anregung des Augenarztes Dr. Adelmann produzierte der Kunstglasbl‰ser Ludwig M¸ller
im th¸ringischen Lauscha ab 1835 Augen aus Beinglas. Eine Glassorte, die leider der Tr‰nenfl¸ssigkeit nicht
standhielt.
Den Durchbruch brachte ein in Grˆnland vorkommendes Mineral namens Kryolith. Daraus schmolzen Christian
M¸ller-Pathle, Septimus Greiner-Kleiner und August Greiner-Wirth in der Glasbl‰serstadt Lauscha zum ersten Mal
Kryolithglas. Das war anno 1868. Etwas sp‰ter entwickelte der Wiesbadener Okularist Adolf Carl M¸ller-Uri
zusammen mit dem niederl‰ndischen Augenarzt Prof. Dr. Hermann Snellen eine doppelwandige Schale, das sogenannte
Reformauge. Sie ist die heute noch gebr‰uchlichste Augenprothese.
Kryolithglas ist ein deutscher Exportschlager. Nur eine Glash¸tte im Th¸ringischen produziert das Spezialglas.
Noch ist es marktf¸hrend als Prothesenmaterial in Deutschland, obwohl in den USA bereits seit Jahrzehnten Augen aus
Kunststoff hergestellt werden. Klar, Glas ist zerbrechlich, aber daf¸r glatter, unempfindlicher gegen¸ber Kratzern
und vor allem hypoallergen. Doch die Forschung l‰uft. Und wenn das Allergieproblem gelˆst ist, ist Kunststoff nicht
mehr aufzuhalten.
Augenprothesen sind Vertrauenssache. Um seine Patienten persˆnlich und diskret behandeln zu kˆnnen, h‰lt fast jeder
Okularist in regelm‰fligem Turnus Sprechstunden in verschiedenen St‰dten ab. Des Okularisten Reisebegleiter
sind dabei seine Herstellungsutensilien und Musterkoffer mit einer groflen Anzahl an halbfertigen Augen, aus welchen
ein passendes f¸r den Patienten ausgesucht wird. Wenn die Farbe stimmt, kann der kugelige Rohling mit einer
filigranen Zeichnung von Blut- und Fett‰derchen nach dem Vorbild des gesunden Auges ¸berzogen werden. Erst zum
Schlufl verwandelt er sich durch Absaugen der Luft zum doppelwandigen Reformauge. In diesem Stadium der Anpassung
mufl besonders auf die exakte Form der Augenhˆhle, der Naseneinbuchtung und auf Narben geachtet werden, damit sp‰ter
nichts reibt oder dr¸ckt.
Um Reizungen zu verhindern, sollte die Prothese ªmindestens einmal t‰glich mit lauwarmem Wasser´ abgesp¸lt werden,
empfiehlt Jˆrg M¸ller-Welt. Doch selbst bei bester Pflege mufl sie jedes Jahr ausgetauscht werden. Die Glasoberfl‰che
wird n‰mlich durch die Tr‰nenfl¸ssigkeit langsam, aber sicher aufgerauht. Bei Kindern, die noch im Wachstum sind,
sollte die Prothese viertel- oder halbj‰hrlich ausgetauscht werden. Das zahlt die Krankenkasse, denn Augenprothesen
gelten in Deutschland als Kˆrperteilersatz.
Okularist wird man nicht einfach nur so. Es ist einer der wenigen Berufe, die traditionell vom Vater an den Sohn
weitergegeben werden, da immer noch keine staatlichen Schulen f¸r die kleine Berufsgruppe existieren. Immerhin ist
die internationale Bezeichnung ªOkularistik´ zwischenzeitlich in Deutschland als freiberufliche T‰tigkeit anerkannt.
Bei der siebenj‰hrigen Ausbildung stehen neben rein Handwerklichem auch Anatomisches, Medizinisches und
Psychologisches auf dem Stundenplan.
Mehr als 150.000 Menschen benˆtigen hierzulande Augenprothesen. Das Patientenspektrum hat sich im Laufe der
Jahrzehnte gewandelt. W‰hrend fr¸her vor allem Duelle und Kriege die Ursachen f¸r den Verlust eines Sehorgans waren,
so sind es heute Unf‰lle und Erkrankungen wie Gr¸ner Star, Tumore, Thrombosen und Diabetes. Augensch‰den durch den
Brutkasten, wie sie vor zwanzig Jahren noch h‰ufig bei Fr¸hchen der Fall waren, kommen kaum mehr vor.
F¸r Menschen, die ein Auge verloren h‰tten, sei es schwer, ªdas seelische Gleichgewicht wiederzuerlangen´, sagt
Jˆrg M¸ller-Welt. Denn ªAugen sind der Spiegel der Seele´. W‰hrend der Ersatz anderer Kˆrperteile, wie Brust, Bein
oder Arm, durch Kleidung kaschiert werden kann, sitzt hier die Prothese mitten im Gesicht, f¸r alle Welt sichtbar.
Am Anfang ist das f¸r die Betroffenen eine enorme psychische Belastung. Daher bezeichnet M¸ller-Welt die F‰higkeit,
einf¸hlsam mit Menschen umgehen zu kˆnnen, als eine der wichtigen Voraussetzungen f¸r seinen Beruf.